Vorteil der AlphabetschriftProbleme mit der Rechtschreibung entstehen auch durch die Verwendung der Alphabetschrift. Die ersten Schriftzeichen entstanden ca. 3000 vor Chr. und waren Bildzeichen, die später mit Lautzeichen ergänzt wurden. Von den chinesischen Schriftzeichen wissen wir, dass sich die jeweilige Bedeutung nicht aus dem Bild ergibt und jedes der ca. 3000 Zeichen auswendig gelernt werden muss. Der Vorteil der Alphabetschrift besteht daraus, dass aus der begrenzten Anzahl von 26 Buchstaben (plus ä,ö,ü,ß) alle Wörter gebildet werden können. Besonderheiten beim Erlernen der AlphabetschriftKindern fällt es häufig nicht leicht, diese 26 Buchstaben plus Sonderzeichen in die richtigen Laute umzusetzen, da sie nicht alle Laute abbilden. Hiervon gibt es wesentlich mehr, nämlich 40 und sie klingen während des Sprechens nicht so, wie der einzelne Laut. Je nach Position im Wort hört man sie zudem noch unterschiedlich oder gar nicht. Wie zum Beispiel den Buchstaben ‘e’ in der Vorsilbe ge- oder im Wort Hose. Deshalb brauchen Grundschulkinder von Anfang an angemessene Unterstützung. In den ersten Schul-Monaten lernt das Kind, dass man Gesagtes aufschreiben kann und dass Geschriebenes eine Bedeutung hat. Es weiß, dass Laute durch bestimmte Buchstaben dargestellt werden und kann Wörter in lesbare Teile aufgliedern.
Was genau sollte ein Kind nach dem ersten Schulhalbjahr können (gemäß dem an der Uni Münster entwickelten Lernserver)? |
Das Kind ist sich über das Lautmoment der Sprache bewusst, das heißt, es
- bemerkt Reime
- gliedert Wörter in Silben
- erkennt Anlaute und kann sie schreiben
- liest Silben
- schreibt erste Wörter
Das Kind kann Wörter visuell-akustisch vergleichen, das heißt, es
- sieht unterschiedliche Wortlängen
- erkennt ähnliche Wörter auf Karteikarten
Das Kind lernt die Struktur der Buchstabenschrift kennen, das heißt, es
- verbindet Laute zu einem Wort
- hört Anfangslaute eines Wortes
Das Kind hat eine visuelle Aufmerksamkeit für Wörter entwickelt, das heißt, es
- identifiziert gleiche Wortbilder aus mehreren
- erkennt den Unterschied bei fast gleichen Wortbildern
Das Kind weiß, dass es eine Laut-Buchstaben-Zuordnung gibt, das heißt, es
- erkennt bekannte Buchstaben
- sagt, ob ein Buchstabe am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Wortes steht
- liest Wortanfänge
- legt Silben nach dem Klang in Buchstabenkarten
- fängt an, Laute zu analysieren
- liest Wörter mit drei und vier Buchstaben
(Grundlage hierfür ist, dass mindestens die 12 Buchstaben a,e,i,o,u,f,l,m,n,r,s,t bekannt sind)
Download als Checkliste für Eltern und Fachleute
Übrigens:
Wenn Sie überprüfen möchten, auf welchem Leistungsstand Ihr Kind in Bezug auf die Rechtschreibung ist, können Sie beim Lernserver der Universität Münster einen Test machen.
Wo entstehen die Probleme beim Erlernen der Rechtschreibung?
Probleme mit der Rechtschreibung entstehen auch durch Mängel in unserem Bildungssystem. Für die Vermittlung des Schreibens und des Lesens gibt es in Deutschlands Schulen keine festgelegte Vorgehensweise. Jede Schule macht es in ihrem eigenen Stil und häufig lässt man die Kinder nach Gehör oder Gefühl schreiben. Das funktioniert leider nicht, da im Deutschen jedes zweite Wort anders geschrieben wird, als es sich anhört. Manchmal korrigieren die Lehrenden nicht, aufgrund der Ansicht, dass Fehler sich nach und nach ausmerzen würden. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: was sich einmal falsch im Kopf abgespeichert hat, lässt sich dort nur schwer wieder hinaus bekommen.
Warum sollte auf ein ordentliches Schriftbild geachtet werden?
Viel zu wenig wird auf ein ordentliches Schriftbild geachtet. Dies ist jedoch enorm wichtig, da sich die 30 Buchstaben des Alphabets ziemlich ähnlich sehen und leicht verwechselt werden, wie zum Beispiel d-b-q-p. Heutzutage gibt es neben einer Fibel und einem Rechenbuch mehrere Arbeitshefte, die eines gemeinsam haben: es fehlen Orientierungslinien zum Schreiben und häufig fehlt an den Stellen, wo das Kind etwas eintragen soll ganz einfach der Platz, so dass es nicht verwunderlich ist, wenn das Kind unleserlich schreibt.
Einem Kind das Schreiben und Lesen beizubringen braucht folgende ‚Zutaten‘: Geduld, Feingefühl und Zeit. Gerade der Faktor Zeit fehlt aufgrund überfrachteter Lehrpläne in Grundschulen. Dies hat zur Folge, dass viel zu viel in immer kürzerer Zeit gelehrt wird und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder keine Rücksicht mehr genommen werden kann.
Es wird auch viel zu wenig in der Schule geübt. Dieser Part muss dann häufig von den Eltern übernommen werden, wenn das Kind in der Schule gut mitkommen soll. Aber kann das jede Familie leisten?
Welche Folgen hat eine schlechte Rechtschreibung?
Kinder, die Probleme mit der Rechtschreibung haben, lesen meist nicht gerne und schaffen es in der Grundschule noch ganz gut, dies irgendwie zu verschleiern. Wenn unerkannt bleibt, dass sich ein Kind mit dem Schreiben und Lesen schwertut, rächt sich das in der weiterführenden Schule. Hier müssen in jedem Schulfach umfangreichere Texte geschrieben, beziehungsweise gelesen und verstanden werden. In manchen weiterführenden Schulen gibt es deshalb mittlerweile Förderunterricht, wie eingangs beschrieben.
Welche gesellschaftlichen Folgen hat dieser Mangel in unserem Bildungssystem?
Am 12.11.2020 wurde der neue Monitor für die allgemeine und berufliche Bildung 2020 der Europäischen Kommission herausgegeben.
Neben der Tatsache, dass Deutschland im Vergleich zur EU bei der digitalen Ausstattung unter dem EU-Durchschnitt liegt, erfährt man dort ein paar harte Fakten zum Thema Chancengleichheit: „Schüler/-innen aus besser gestellten Familien übertreffen Gleichaltrige aus benachteiligten Verhältnissen um 113 Punkte (EU 95 Punkte), was annähernd 3 Jahren Schule entspricht. Diese Kluft ist seit 2015 um fast 20 Punkte gewachsen“.
Der sozio-ökonomische Status wirkt sich stärker auf die Leseleistung aus, als es im Durchschnitt der EU der Fall ist. Eklatant ist besonders folgender Unterschied: Im EU-Durchschnitt erlangen Schüler/-innen aus benachteiligten sozioökonomischen Verhältnissen mit einer Wahrscheinlichkeit von 43,4% einen tertiären Bildungsabschluss – in unserem Land nur zu 13,9% (siehe Seite 8 im Bericht). Der gesamte Bericht ist äußerst lesenswert. Er empfiehlt Deutschland, schwerpunktmäßig in Bildung zu investieren und legt den Finger in verschiedene Wunden, die eigentlich bekannt sind. Das zunehmende Geschlechtergefälle in Bezug auf frühe Schul- und Ausbildungsabgänger und der Lehrkräftemangel zum Beispiel.