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Ein Plädoyer für die Rechtschreibung 

 06. November 2020

Von  Sabine Gessenich

Das Herzstück unserer Allgemeinbildung ist der angemessene Umgang mit Sprache und Schrift. Da ich immer häufiger feststelle, dass der Rechtschreibung keine Bedeutung mehr zugemessen wird, möchte ich mit diesem Beitrag etwas Aufklärungsarbeit leisten.


Wie entsteht Lesekompetenz?

Die Vermittlung einer korrekten Rechtschreibung wird heutzutage irgendwie nicht mehr ernstgenommen. Wenn ich das anspreche, höre ich Argumente wie „Für so etwas gibt es Computerprogramme mit Rechtschreibkorrektur“ oder „Lesen ist viel wichtiger“.

Beziehung von Laut und Buchstabe

Wer das sagt, hat sich noch nicht damit befasst, wie Kinder das Lesen und Schreiben lernen. Bereits bei den ersten Stufen des Schreiben-Lernens entwickelt sich ein Verständnis für die Beziehung von Laut und Buchstabe. Kinder kritzeln oder malen Buchstaben (-bilder) als Vorstufe des Schreibens und entwickeln hieraus ein Verständnis für die Beziehung zwischen Laut und Buchstabe. Fast alle Kinder, die ich kenne, haben diesen ‚Drang‘ zu schreiben von sich selbst heraus. Das kann man aktiv nutzen und ihnen das Grundwissen über die Verknüpfung von Lauten und Buchstaben vermitteln. Es folgt das Lesen als Wiedererkennen von Buchstabenkombinationen und das Zusammenziehen von Buchstaben. Vielleicht wird hierdurch klar, dass Lesen und Schreiben lernen eng miteinander verknüpft sind.

Zusammenhang von Schreiben und Lesen

Sicherheit in der Rechtschreibung ist die Basis für das Lesen. Nur wer gut und richtig schreibt, kann fließend lesen. Immer wieder erlebe ich, dass Kinder erst nach entsprechendem Rechtschreibtraining Freude am Lesen von Büchern bekommen. Aus meiner Sicht sind eine gute Rechtschreibung und flüssiges Lesen die Basis für den schulischen und später den beruflichen Erfolg. Ein kompetenter Umgang mit Sprache und Schrift dient einer unmissverständlichen Kommunikation. Wer diese beherrscht, wirkt zuverlässig und seriös.

Stark erhöhter Rechtschreib-Förderbedarf

Aber wo stehen wir heute? Es ist für mich schockierend. Bei den Lernenden in weiterführenden Schulen gibt es einen stark erhöhten LRS-Förderbedarf! Welches sind die Gründe für den Leistungsrückgang beim Lesen und Schreiben, der sich natürlich auf alle Unterrichtsfächer durchschlägt? Den ersten Grund habe ich bereits genannt – Schreiben ist irgendwie unwichtig geworden. Den zweiten Grund liefere ich gleich dazu: Jede Grundschule kann Rechtschreibung unterrichten, wie sie will. Teilweise gibt es Modelle wie ‚Inventive Spelling‘ = Schreiben, wie man möchte oder Schreiben nach Gehör. Beides funktioniert nicht und spätestens in der dritten Klassenstufe kommen die Kinder dann zu mir ins LRS-Training, weil sie jetzt für falsches Schreiben schlechte Noten erhalten. Bezahlen müssen das die Eltern. Und die Kinder leiden, weil sie sich minderwertig fühlen.

Es tut mir leid, es so sagen zu müssen, aber ich sehe da starke Defizite in der Ausbildung von Lehrenden und manchmal auch die falschen Menschen im Lehrberuf. In den kommenden Jahren werden wir im Grundschulbereich aufgrund des bekannten Lehrermangels Quereinsteiger haben, denen das Fachwissen sowie die Geduld zur Vermittlung von Schreiben und Lesen in den meisten Fällen fehlt. Bereits heute sind die Lehrenden überfordert von großen Klassen und den zusätzlichen Anforderungen durch Inklusion und Integration.

Mängel in der Lehrerausbildung

Schulen und Lehrende sind ziemlich alleingelassen! Aus diesem Grund braucht es dringend möglichst bald deutschlandweit schulbezogene Screenings mit anschließenden passgenauen Förderkonzepten, die die Lernenden in ihrer Schreib- und Lesekompetenz spürbar voranbringen. Das funktioniert aber nur, wenn Lehrende ergänzende Ausbildungen erhalten, die es ihnen ermöglichen, individuell auf die Lernenden einzugehen. Aus meiner Sicht müssten Lehrende den Lerntyp eines Kindes bestimmen können, um mit dem Kind gemeinsam entsprechende Lernstrategien zu erarbeiten. Das kann man erlernen. Sie müssten über Besonderheiten für das Lernen bei Hochbegabung und AD(H)S Bescheid wissen. Und kennenlernen, wie sich Legasthenie und LRS sowie Dyskalkulie und Rechenstörung unterscheiden lassen. Auch, wie eine angemessene Englisch-Förderung in der Grundschule aussieht. Sie sollten über die Entwicklung im Kindesalter Bescheid wissen und wie man feststellt, ob ein Kind schulreif ist. Und sie müssen auch lernen, welche Dinge zusätzlich Einfluss auf die schulische Entwicklung eines Kindes haben können.

Ist unser Bildungssystem schuld?

Neben den hier beschriebenen Mängeln in der Ausbildung von Lehrenden gibt es einige Dinge aufzuzählen, die schief laufen, ja. Es fängt an mit unserer Fehlerkultur, die Fehler machen mit schlechten Noten bestraft, obwohl Lernen und Entwicklung nur durch Ausprobieren möglich sind. Immer noch fixieren wir uns auf Abschlüsse, obwohl wir doch wissen, dass für jeden Menschen heutzutage lebenslanges Lernen, Flexibilität und ständige Weiterentwicklung lebensnotwendig sind. In meiner täglichen Arbeit sehe ich auch oft wenig Bereitschaft von Schulen, sich mit engagierten Eltern auseinanderzusetzen, und es fehlt häufig an inhaltlicher Zusammenarbeit zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen.

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